Die Veränderung der
Branding-Branche
Aus der Zeitschrift HORIZONT, 01/2022
Von Fabian Wurm
Welche Designer werden das Jahr prägen, welche Ereignisse die Branding-Branche beschäftigen? Prof. Gregor Ade ahnt, was kommt. Und benennt die Trends: Die beschleunigte Digitalisierung im Zuge der Pandemie setze sich fort. Sie führe, sagt der Frankfurter Agenturchef, zwangsläufig zu einer digitalen Transformation aller relevanten Unternehmen, Agenturen inklusive. Er weiß, „Plattformen – seien es Marktplätze, soziale Netzwerke, Games – prägen mehr denn je unsere Realität und bestimmen damit auch den Rahmen für die Ausrichtung und Inszenierung von Unternehmen.“
Die neuen digitalen Kanäle, sagt er, seien „Fundament für Wachstum, Resilienz und Anpassungsfähigkeit“. Eine Design-Agentur, die im digitalen Business nicht mitspielen könne, habe schlechte Karten. Die eigene Agentur GABC (Kürzel für Growing Ambitious Brands Creatively) versteht Ade als Strategie- und Design-beratung für Marken im Wandel.
In den vergangenen Jahren ist die Agentur kontinuierlich gewachsen
„Natürlich war das Jahr 2020 schwierig“, räumt Ade ein. „Aber wir haben keine Kunden, die gestrauchelt sind“. Zu Krisenzeiten hat GABC neue Kunden gewonnen, so das börsennotierte Logistikunternehmen KION. Neben der Gruppe Deutsche Börse und der DZ BANK ist es der dritte Großkunde, für dessen visuelle Markenentwicklung Ade verantwortlich ist. Seine kleine, gerade einmal zehnköpfige Agentur kooperiert mit wechselnden Partnern, unter anderm mit Uli Mayer-Johanssen, Ex-Chefin von Meta Design. Auch mit der Digitalagentur VALID in Berlin ist die Zusammenarbeit erprobt, ebenso mit den Retail-Designern und B2B-Spezialisten von Pioneers in Mainz.
„Wenn's in Grenzbereiche geht, dann holen wir uns die richtigen Partner“, erläutert der Agenturchef sein flexibles Konzept. Derzeit ist er mit einem großen Immobilienprojekt befasst, der Renovierung und dem Rebranding der „Parkside Office Gallery" in Berlin-Tiergarten. Zunächst habe GABC die Marketingmaßnahmen, dann ein architektonisches Konzept für das Gebäude entwickelt. Bieker Architekten aus Frankfurt waren mit von der Partie. „Wir sagen schon recht genau, wie wir uns die Möblierung und die Fassade vorstellen“. Ein Designer müsse bereit sein, die Grenzen der Disziplin neu zu vermessen. Architektur gehöre ohnehin beim Thema Marke dazu.
Das Beispiel GABC zeigt: Das große Agentursterben, das der Deutsche Designtag (DT) prophezeite, ist ausgeblieben. Dennoch: 43 Prozent der Agenturen und Büros fühlen sich von der Krise stark, mitunter gar existenzbedrohend betroffen, das hatte die Dachorganisation der Fach- und Berufsverbände in einer Studie ermittelt. Ein Fünftel der Befragten schätzte die Liquidität ihrer Agentur als schlecht bis katastrophal ein. „Da die Auftragslage der Kreativen abhängig ist von der Investitionsbereitschaft der Industrie, gehen wir bei der coronabedingten Rezession von keiner schnellen Erholung der Auftragslage aus“, lautete das Fazit.
Gregor Ade aber kann nicht klagen. Für das Jahr 2022 rechnet er mit einem spürbaren Umsatz-Wachstum. Derzeit baut Ade sein Team und die Standorte Frankfurt und Berlin weiter aus: „Gerade unsere digitalen Projekte sind im vergangenen Jahr nochmals deutlich vielschichtiger geworden“ sagt Ades Agenturpartner Alex Schwaderer, diplomierter Ökonom, bis 2012 Chef-Stratege bei den Goldenen Hirschen in Berlin. „Und wir haben festgestellt, dass unsere Auftraggeber gerade in dieser Zeit des Wandels an vielen Stellen entscheidungsfreudiger und wachstumsorientierter, kurz gesagt, ambitionierter agieren. Dabei stellen wir fest, dass unsere Leidenschaft für Kreativität und exzellente Gestaltung, gepaart mit einer langjährigen Erfahrung in der Führung komplexer Markenprojekte für unsere Kunden, den Ausschlag für die Zusammenarbeit mit uns geben“. Ade ergänzt: „Neben dem Fokus auf digitale Projekte werden wir verstärkt für räumliche Markeninszenierungen angefragt gewissermaßen als Reaktion auf die zunehmende Virtualisierung. Diese
mehrdimensionalen, architektonischen Projekte ergänzen unser Portfolio und waren im Jahr des digitalen Dialogs oft ein willkommenes Bekenntnis zum Realen, Anfassbaren und Menschlichen“. Und das ist ein weiterer großer Trend, den Ade ausgemacht hat. „Vielleicht auch als Gegentrend zu zunehmend digitalen Markenerlebnissen bemerken wir eine regelrechte Renaissance des physischen Markenerlebnisses. Die Entwicklung gehe weg von der gleichgeschalteten Basisversorgung, „hin zu einer bewussten Inszenierung individueller Erlebnisse.“
Rebranding und Filialkonzept für die Reisebank
Um ein Beispiel ist er nicht verlegen. Jüngst hat er mit Biker Architekten sämtliche Filialen der Reisebank gestaltet, des Marktführers für Reisegeld und Fremdwährungen. Bei dieser Kooperation galt die Devise:
Rückbesinnung auf den realen Raum, zum Haptischen, zum persönlichen Kontakt. „Wenn es eine Bank gibt, bei der Filialen heute noch sinnvoll sind, dann ist es die Reisebank. Denn Währungen tauschen, Edelmetalle kaufen und Bargeld abheben – das alles macht man am besten vor Ort in einer zentral gelegenen Geschäftsstelle. Das sind starke Gründe für ein reales, bewusst konzipiertes Kundenerlebnis.“ Hohe Zugänglichkeit, ein klares Leistungsversprechen und verständliche, differenzierte Produktangebote standen folglich im Fokus. Das gilt auch für die Konzeption der Website. Reisegeld tauschen, Währungen berechnen, Edelmetalle kaufen, den Goldsparplan entdecken, Produkte erleben oder ganz einfach Filialen finden – all das soll nun mit wenigen Klicks möglich sein. Das neue Corporate Design, da ist sich Ade sicher, „zählt zu modernsten Erscheinungsbildern in der deutschen Bankenlandschaft“.
Strategie, Konzeption und Gestaltung müssen künftig enger verknüpft werden, sagt Ade. Eine komplexe Marken-Entwicklung dürfe nicht länger voneinander getrennt agierenden Spezialisten überlassen werden. Brand Change braucht den Perspektivwechsel und Agilität“. Das erlebe er bei seinen Kunden. Es sei an der Zeit, auf neue Anforderungen zu reagieren: „Wir bauen gerade ein Team Social Content und Aktivierung auf“, Flexibilität ist Trumpf in Zeiten der Krise.
In einem Punkt freilich hat der Deutsche Designtag recht behalten: Seitdem auch im Corporate Design das Projektgeschäft dominiert, sind Branding- und Kommunikationsagenturen in ausgesprochen hohem Maße konjunkturabhängig“. Unternehmen und Institutionen sparen in Krisenzeiten erfahrungsgemäß zuallererst am Kommunikations-und Branding-Budget. Und die Agenturen sind gezwungen, ihre Mitarbeiterzahl umgehend der Auftragslage anzupassen. Agenturen aber brauchen Stabilität. Sie können die Schwankungen, die das Projektgeschäft zwangsläufig mit sich bringen, kaum noch tragen. Dann steht rasch die Unabhängigkeit zur Disposition. Folglich wird wieder darüber debattiert, ob kleine, wendige Agenturen oder aber die Network-Dickschiffe besser durch Krisen steuern. Zwei der großen Design-Agenturen jedenfalls haben in den Corona-Jahren ihre Unabhängigkeit aufgeben müssen: Strichpunkt und 3st. Die Strichpunkt-Inhaber Kirsten Dietz und Jochen Radeker verkauften ihre Firma an die Myty Group und erhielten im Gegenzug Anteile an dem Ende vorigen Jahres gestarteten Verbund. In Mainz ist 2020 über eine Mehrheitsbeteiligung des Content-Spezialisten 3st Communication zu einem Teil der FAZ-Gruppe geworden.
Agentur-Modelle stehen auf dem Prüfstand
Die großen Branding-Agenturen haben beinahe durchweg Federn gelassen, das hat das Horizont-Ranking der CD/CI-Agenturen gezeigt (HoRizoNT 31-32/2021). Deutlich wird: Das Agenturmodell von GABC – der kleinen Agentur, die bei Bedarf mit unabhängigen Gestaltern an wechselnden Projekten arbeitet – gewinnt an Relevanz.
Agenturchef Gregor Ade weiß, wovon er spricht. Er hat in vielen Konstellationen gearbeitet: 1999, noch während seines Studiums an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach (HfG), heuerte er beim Branchenprimus MetaDesign an. Zwei Jahre später, da war er gerade mal Mitte zwanzig, brachte er mit seinen einstigen Kommilitonen Stefan Hauser und Laurent Lacour in Frankfurt die Agentur ade hauser lacour an den Start – entgegen allen Warnungen. Die Voraussetzungen waren nämlich alles andere als günstig, die Dotcom-Blase hatte sich bereits deutlich bemerkbar gemacht. Doch die Newcomer-Agentur konnte rasch Kunden aus dem Kulturbereich überzeugen: den Frankfurter Kunstverein, das Museum für Moderne Kunst (MMK), die Senckenberg-Institute und die Schirn Kunsthalle etwa. Mit ihnen konnten sie Design-Preise und Aufmerksamkeit gewinnen.
Beratungserfahrung und Hochschullehre
2008 dann wechselte Ade in die Geschäftsleitung der Peter Schmidt Group, der – nimmt man all ihre Geschäftsfelder zusammen – eindeutig umsatzstärksten CD-Agentur in Deutschland. 2017 wurde er an die Hochschule Mainz berufen, als Professor für Corporate Identity und Corporate Design. „Da kam ein anderes Thema in mein Leben“, sagt der Agenturlenker, der auch leidenschaftlicher Typograph ist. Schriftgestaltung hat in Mainz eine große Tradition. Namen wie Hans Peter Willberg und Olaf Leu stehen dafür. Neu aber ist in Mainz die Kooperation der Designer mit dem Fachbereich Betriebswirtschaft und der gemeinsam initiierte Markentag, „Überlegt euch mal, wie ihr eine gute Geschäftsidee findet und dann präsentiert“, so ungefähr lautet beispielsweise eine Aufgabe, die er seinen Studierenden stellt. Er genieße es, Professor zu sein, mit ausgewählten Profis zu arbeiten und nicht mehr für 200 Beschäftigte verantwortlich zu sein. Eine kleine, feine und vor allem wendige Agentur, das ist sein Ideal. Wenn die Mitarbeitenden aus allen kreativen Fakultäten kommen, aus der Werbung etwa, wie sein Agenturpartner, könne etwas Neues entstehen.
Die Größe der Auftraggeber spiele dann keine Rolle. Bei der Peter Schmidt Group habe er für Konzerne gearbeitet, sagt Ade, mit GABC mache er das auch. „Die Sorge ist ja, wenn man aus so einer großen Agentur herausgeht, dass man dann das Logo für den Bäcker um die Ecke gestaltet“. Das sei zwar keinesfalls unter seiner Würde, aber die Herausforderung, für eine Bank oder einen Finanzinvestor zu arbeiten, sei nun einmal eine andere.
Lange galt: Size matters. Auch im Designgeschäft. Große Unternehmen machten mit großen Firmen ihre Geschäfte. Britische und US-amerikanische Designfirmen traten auf wie Konzerne. Ade aber kennt das Dilemma: Fabriken können keine Maßanfertigung machen. GABC will Manufaktur und Fabrik zugleich sein. In Zeiten von Mass Customization schließen sich exquisite Gestaltung und große Branding-Projekte ohnehin nicht aus. „Wir werden uns vielleicht doch vergrößern“, überlegt Ade, der in Stuttgart aufwuchs. Und schränkt sofort ein: Er gehe „schwäbisch“ vor, „Schritt für Schritt“.
Gregor Ade ist Managing Partner und Gründer von GABC. Von 2008 bis 2016 war er Creative Director, Geschäftsführer und Managing Partner der Markenagentur Peter Schmidt Group (BBDO Worldwide). Ade ist Vize Präsident der Hochschule Mainz sowie Mitglied im DDC (Deutscher Designer Club), Mitglied im ADC (Art Directors Club für Deutschland) und Kuratoriumsmitglied des MAK (Museum Angewandte Kunst in Frankfurt).
Aus der Zeitschrift HORIZONT, 01/2022
Ein Artikel von Fabian Wurm
Der Inhalt wurde teilweise für die Veröffentlichung aktualisiert.